18. Dezember 2022
Das Überwinden des inneren Schweinehunds
Die meisten von uns sind der Überzeugung, dass der Mensch ein vernünftiges Wesen ist. Dadurch glauben wir, dass wir in der Lage sind, alles mit Hilfe von Vernunft und Logik zu meistern. Aber ist es wirklich möglich, gesund zu leben, indem wir uns auf unsere Vernunft verlassen?
Laut Prof. Dr. Lutz Jäncke, dem bekannten Neuropsychologen, ist unser Gehirn ein hochadaptives System, das sich an die unterschiedlichsten Gegebenheiten anpassen kann. Diese Anpassungsleistung führt jedoch im Alltag immer wieder zu Fehlwahrnehmungen, Illusionen, und subjektiven Interpretationen. Das hat Konsequenzen für unseren Alltag. Wir verhalten uns nämlich häufig unvernünftiger, als wir glauben – und sind dennoch überzeugt, dass wir vernünftig handeln.
Um gesundheitsförderndes Denken und Verhalten in unserem Gehirn zu etablieren, sind deshalb spezielle Strategien erforderlich, die weniger auf Logik und Vernunft, sondern mehr auf Verhaltensautomatismen und Gewohnheiten basieren.
Dazu ist es wichtig zu verstehen, wie unser Gehirn funktioniert. Das Gehirn interpretiert die Welt nämlich ständig und unbewusst. Auf dieser Basis macht es Voraussagen, um zu entscheiden, wie wir uns verhalten. Mit diesem Wissen ist es nicht mehr erstaunlich, dass das Unbewusste mehr Einfluss auf unser Verhalten ausübt als unsere Vernunft. Der Autopilot navigiert uns ohne bewusste Gedanken durch den Alltag. Er reagiert auf Bottom-up-Signale, also unbewusste Signale und verleitet uns zu Verhaltensweisen, die uns auf einfache Weise eine schnelle Befriedigung verschaffen – bekannt als Phänomen des "inneren Schweinehunds". Das Gegenteil wären bewusste Gedanken, die zu Verhalten führen mit langfristiger Befriedigung, jedoch erstmal mehr Aufwand bedeuten.
Was braucht es, um gesund zu leben ...
In der Regel überwiegt der Einfluss unseres Autopiloten und wir handeln oft unvernünftiger, als wir meinen. Um gesundheitsförderndes Denken und Verhalten zu etablieren, ist es deshalb wichtig, das Gehirn gezielt zu trainieren und unseren inneren Schweinehund regelmässig zu überwinden. Dies kostet zwar Kraft und erfordert Selbstdisziplin, hat aber langfristig positive Auswirkungen auf die eigene Gesundheit und das Wohlbefinden.
... und ungesundes Verhalten zu vermeiden?
Ein weiterer Aspekt beim Erreichen gesundheitsfördernder Verhaltensweisen ist die Bewältigung kognitiver Dissonanz. Dies ist der psychologische Zustand, in dem unser Gehirn versucht, unvereinbare Vorstellungen miteinander in Einklang zu bringen. Sicherlich hat sich jeder von uns schon Rechtfertigungen für eigenes ungesundes Verhalten eingeredet, wie zum Beispiel für das Rauchen oder den Konsum von zu viel Zucker. Wir wissen, dass es ungesund ist, und tun es trotzdem. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass es selten hilfreich ist, jemanden direkt auf seine kognitive Dissonanz anzusprechen. Menschen neigen dazu, an ihren eigenen Interpretationen festzuhalten, unabhängig von ihrer Intelligenz.
Eine gute Möglichkeit, um ungesunde Verhaltensweisen zu vermeiden, ist daher, sich immer wieder mit Informationen über die Schädlichkeit bestimmter Verhaltensweisen auseinanderzusetzen und unserem Gehirn die Möglichkeit zu geben, diese zu interpretieren.
Achtsamkeit kann ebenfalls dabei helfen, ungesundes Verhalten zu vermeiden. Einerseits durch die gezielte Beschäftigung des Gehirns mit sich selbst anstatt der passiven Aussetzung von Reizen. Andererseits trainieren wir damit die Bewusstmachung des Autopiloten und nehmen ansonsten unbewusste Bottom-up-Signale in unser Bewusstsein auf. Damit besteht die Möglichkeit der Wahl der Verhaltensweise.
Wer seinen Autopiloten regelmässig trainieren möchte, sollte sich meine Achtsamkeitsangebote anschauen.
Quelle: Referat von Prof. Dr. Lutz Jäncke an der Internationalen Bodensee Konferenz (IBK) für Gesundheitsförderung und Prävention, vom 5.5.2022.
Bilder: Myriam Zilles, Mathew MacQuarrie und Max, Unsplash